Aktuell – 20.06.2022

«Was ist die Rolle der Medien? Meistens Integration»

Diaspora TV sendet in insgesamt 17 Sprachen Informationen für Migrantinnen und Migranten in der Schweiz. Mark Bamidele Emmanuel hat den Sender, der jetzt auch von der Swisscom aufgeschaltet wurde, aufgebaut. Er fordert, dass zehn Prozent der Serafe-Gebühren, die von Personen mit Migrationshintergrund bezahlt werden, in Migrantenmedien fliessen.

Interview von Bettina Büsser

EDITO: Kurz vor diesem Gespräch* entschied sich die Swisscom, Diaspora TV in ihr Angebot aufzunehmen. Sie hatten bereits früher TV-Anbieter angefragt, ob sie Diaspora TV auch aufschalten – erfolglos.

Mark Bamidele Emmanuel: Wir haben im letzten Jahr Kontakt mit Salt, Swisscom und UPC aufgenommen. Salt hat gesagt: Die Möglichkeit besteht – schauen wir nächstes Jahr. Wir werden uns also wieder bei Ihnen melden. Von den beiden anderen Anbietern haben wir damals keine Antwort erhalten. Aber mit Swisscom ging es nun schnell, am 8. Juni wird Diaspora TV aufgeschaltet und kann in der ganzen Schweiz empfangen werden.

Hat das auch damit zu tun, dass Diaspora TV wegen aktueller Themen vermehrt wahrgenommen wird? Etwa wegen der Corona-Informationen des Senders in verschiedenen Sprachen oder wegen der Sendungen in Ukrainisch, die Sie neu anbieten.

Diaspora TV gibt es seit 2018. Wir arbeiten schon länger mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und dem Staatssekretariat für Migration (SEM) zusammen, weil wir in unseren Programmen über wichtige Themen informieren und Migrantinnen und Migranten erreichen, die auf anderen ­Kanälen nicht zu erreichen sind. Wir waren schon 2019 sehr aktiv. Als 2020 das Thema Corona heiss wurde, wurde diese Zusammenarbeit also nur fortgesetzt. Aber wir waren zur richtigen Zeit mit unseren Angeboten da.

Vor dem Start von Diaspora TV haben Sie mit African Mirror TV bereits ein ähnliches Projekt für Migrantinnen und Migranten aus Afrika aufgebaut. Warum?

Als ich vor etwa 20 Jahren aus Nigeria in die Schweiz kam, war es schwierig für mich, wichtige Informationen über das Land zu erhalten. Weil es ja anderen Migrantinnen und ­Migranten ähnlich geht, baute ich später mit African Mirror TV ein Angebot in Englisch und Französisch auf. Bereits ­damals entstanden die Beziehungen zum BAG, zum SEM, zur Caritas, zur Eidgenössischen Migrationskommission. ­Diaspora TV ist eine Fortsetzung von African Mirror TV, einfach für eine grössere Migranten-Community: Wir bieten News in neun Sprachen an, dazu kommen sporadische ­Informationsbeiträge in weiteren acht Sprachen.

Wie entscheiden Sie, in welchen Sprachen Diaspora TV sendet?

Wir machen zum Beispiel keine Nachrichten in Tamil, weil viele tamilische Leute bereits in der zweiten Generation in der Schweiz leben, Dialekt sprechen und alles verstehen. Bei den afrikanischen Leuten ist das anders. So sind etwa 80 Prozent der Eritreer erst als Erwachsene in die Schweiz gekommen. Dasselbe gilt für die Syrer und die Afghanen; sie sind neu in der Schweiz. Für diese Leute machen wir unsere Nachrichten, neu auch für die Leute aus der Ukraine. Sie werden die Sprache lernen, aber bevor sie sie sprechen und verstehen können, informieren wir sie in Ukrainisch.

«Wer erklärt einem Migranten, der neu in der Schweiz ist, das Gesundheitssystem?»

Mark Bamidele Emmanuel

Diaspora TV ist also eine Brücke, die hilft, bevor die Leute eine Landessprache sprechen?

Es geht nicht nur um die Sprache, sondern auch um wichtige Informationen. Man lernt vieles über die Schweiz in der Schule. Aber wenn man später in die Schweiz gekommen ist: Wo lernt man das? Man lernt es nicht! Man muss ein Loch füllen. Aber wer erklärt einem Migranten, der neu in der Schweiz ist, das Gesundheitssystem? Oder das System mit den Kantonen?

Sie haben in einem Interview gesagt, Integration, Gesundheit und politisches System der Schweiz seien die Schwerpunkte der News bei Diaspora TV. Das ist Information und nicht unbedingt Journalismus.

Es ist beides. Wir machen keinen Investigativjournalismus, das ist zu teuer. Wir sind ein Informationskanal, der bei der ­Integration hilft. Die Leute, die hierherkommen, leben in der Schweiz. Wenn ich mich nicht integriere, bin ich eine unintegrierte Schweizer Person. Und wenn ich dann nach Frankreich reise und etwas Schlimmes mache, dann sagen sie: Oh, er kommt aus der Schweiz. Das schadet dem Ansehen der Schweiz. Viele Schweizerinnen und Schweizer sind ja auch ­Migrantinnen und Migranten. Ihre Vorfahren sind nur früher in die Schweiz gekommen – der Grossvater von Ignazio Cassis kam aus Italien. Heute sind wir Migranten, morgen sind wir Schweizer.

Diaspora TV hat eine Integrationsfunktion …

Was ist die Rolle der Medien? Meistens Integration. Inte­gration ist nicht nur etwas für Leute, die aus dem Ausland in die Schweiz kommen. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer wissen Dinge über die Schweiz durch die Medien. Die Medien helfen ihnen dabei, sich im eigenen Land zu integrieren. Wir tun genau dasselbe mit Diaspora TV, einfach in den Sprachen der Migrantinnen und Migranten.

Sind die Beiträge in den monatlichen Newssendungen in allen Sprachen dieselben?

Nein. In den Nachrichten gibt es jeweils drei Elemente. Die erste Nachricht ist eine Neuigkeit, die die ganze Schweiz ­betrifft, sie wird in allen Newssendungen ausgestrahlt. In der zweiten Nachricht geht es darum, die Schweiz besser kennenzulernen. Sie dient der Integration, und nicht alle Sprachausgaben senden denselben Bericht. Die dritte Nachricht betrifft dann nur die jeweilige Sprach-Community, oft sind es Veranstaltungshinweise.

«Die Medien helfen den Schweizerinnen und Schweizern dabei, sich im eigenen Land zu integrieren.»

Mark Bamidele Emmanuel

Gibt es Themen, über die Diaspora TV nicht berichtet?

Politik und Religion sind für uns keine Themen. Wir können über das Sozialsystem, das Schulsystem, das Gesundheitssystem berichten. Politische Diskussionen sind Sache der Schweizer Medien.

Wie werden die Diaspora-TV-Ausgaben produziert?

Es gibt eine Produktionswoche pro Monat, dann kommen alle Mitarbeitenden in unser Studio. Dann ist es hier wie ­in der Migros oder im Coop: rein-raus-rein-raus. Vor der Produktionswoche arbeiten die Leute zuhause, sammeln Material und so weiter.

Sind die Leute, die für Diaspora TV arbeiten, Journalistinnen und Journalisten?

Die meisten von ihnen waren Journalistinnen und Journalisten im Ausland, bevor sie in die Schweiz kamen. Manche von ihnen haben dann hier im Restaurant in der Küche ­gearbeitet. Viele haben sich bei uns gemeldet und gesagt: Bitte, ich möchte eine Chance, wieder als Journalist zu ­arbeiten.

Wie hoch ist das Jahresbudget von Diaspora TV und wie wird es finanziert?

Unser Jahresbudget beträgt 1,2 Millionen Franken. Wir ­werden von Stiftungen und Institutionen finanziell unterstützt, sie sind auf unserer Homepage aufgeführt. Ausserdem finanzieren wir uns durch Aufträge, die wir erhalten, zum Beispiel für die Produktion von Konferenzen. In der Corona-Zeit und schon vorher haben wir auch vom BAG, vom SEM, aber auch von verschiedenen Kantonen projektbezogen Geld dafür erhalten, dass wir entsprechende In­formationen in den verschiedenen Sprachen bereitstellen.

Sie haben schon mehrmals gesagt, dass Diaspora TV eigentlich Geld aus den Radio- und Fernsehabgaben erhalten müsste.

Die Serafe-Gebühren betragen fast 1,3 Milliarden Franken. Wie viel davon wird von Leuten mit Migrationshintergrund bezahlt? Sagen wir einmal 20 Prozent. Das sind 260 Millionen Franken. Was tun diejenigen, die dieses Geld erhalten, für die Leute mit Migrationshintergrund? Die Migrantenmedien – es gibt nicht nur uns, sondern verschiedene ­Kanäle, die ihre Community über die Schweiz informieren – erhalten nichts davon. Warum investiert man nicht 10 Prozent dieser 260 Millionen Franken in Migrantenmedien?

Ich habe das auch dem SRG-Generaldirektor, Gilles Marchand, vorgeschlagen. Die zweite Migranten-Generation schaut nicht Schweizer Fernsehen. Wenn es nicht auch ­etwas für die Leute mit Migrationshintergrund anbietet, geht ihm ­dieses Publikum verloren. Wir müssen eine Lösung finden, wir können jetzt nicht mehr still sein. Das Bundesamt für Kommunikation hat uns gesagt, es gehe aus gesetzlichen Gründen nicht. Aber ­Corona hat doch gezeigt, dass die Schweiz ein Problem ­damit hat, Migrantinnen und Migranten zu erreichen.

* Das Gespräch fand am 10. Mai statt.

Mark Bamidele Emmanuel ist Gründer, CEO und Chefredaktor von Diaspora TV. Er kam 1999 als Asyl­suchender aus Nigeria in die Schweiz, studierte Elektrotechnik und absolvierte später bei TeleBielingue eine Ausbildung als Tontechniker und Produzent. 2005 lancierte er African Mirror TV, 2018 das Folgeprojekt Diaspora TV. Diaspora TV bietet monatliche Newssendungen in Englisch, Französisch, Spanisch, Rumänisch, Arabisch, Persisch, Albanisch und Tigrinja sowie ein Programm für Kinder in Deutsch an.

Dazu kommen Informationsbeiträge, etwa über Gesundheitsthemen, die in weiteren Sprachen produziert werden. Das Angebot umfasst heute 17 Sprachen. 92 Personen arbeiten für Diaspora TV. Die Programme werden online und via Social Media angeboten, neu ist Diaspora TV auch bei der Swisscom aufgeschaltet. Über die verschiedenen Vektoren* erreicht Diaspora TV im Schnitt zwischen 300 000 und 350 000 Personen monatlich.

*Zahlen noch ohne TV-Aufschaltung.

Bettina Büsser

Redaktorin EDITO

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